Eine eigene Welt

Philologische Fachbereichsbibliothek der Freien Universität Berlin

Oliver G. Hamm

 

Halle, Eberswalde, Dresden, Magdeburg, zuletzt Cottbus (siehe DAB 2/2005) und Weimar (DAB 3/2005) – vor allem im Osten Deutschlands ist in den letzten Jahren eine ganze Reihe erstklassiger Universitätsbibliotheken entstanden. Seit geraumer Zeit steht auch in Berlin der Um- und Ausbau der (Universitäts-) Bibliothekenlandschaft auf dem Programm. Am 14. September wurde mit der Philologischen Fachbereichsfakultät der Freien Universität ein weiterer schmucker Hort des Wissens eröffnet.

Im „alten Westen“ der Hauptstadt, dort wo die Welt noch in Ordnung zu sein scheint , können Studenten teils in geradezu familiärer Atmosphäre in schmucken Villen und angrenzenden Gärten sich ihren Studien widmen. Doch so ganz stimmt das idealisierte Bild von der FU Berlin im feinen Dahlem schon lange nicht mehr. Denn neben den zahllosen umgewidmeten Wohnbauten ringsum prägen schließlich seit mehr als 30 Jahren die „Rostlaube“ und die später ergänzte „Silberlaube“ ganz wesentlich das Erscheinungsbild der jüngsten, erst nach der deutschen Teilung gegründeten Berliner Universität. Das in zwei Bauabschnitten zwischen 1964 und 1979 errichtete teppichartige Multifunktionsgebäude mit Hörsälen und Seminarräumen galt zwar zu seiner Zeit als Avantgarde-Architektur, die den sonst üblichen Großstrukturen mit einem humaneren, kleinteiligeren Modell einer polyzentrischen Wissenschaft Paroli bot. Doch mit dem – teilweise durchaus gewollten – fortschreitenden Korrosionsprozess der damals neuartigen Corten-Stahlfassade geriet der FU-Zentralbau schließlich im Verruf.
Seit acht Jahren, als es einen Wettbewerb zum Umbau, zur Sanierung und zur Erweiterung der FU Berlin gewann, arbeitet das Londoner Büro Forster and Partners daran, die „Die Rostlaube“ und ihren Ruf aufzupolieren. Abschnitt für Abschnitt wurde der Asbest entfernt, die innere Struktur neuen Anforderungen angepasst und die Fassade erneuert. Seit kurzem wird das Hauptwerk des Strukturalismus in Deutschland um einen Neubau für die Bibliothek der Philologischen Fakultät ergänzt, die bislang auf elf Standorte verteilt war. Zwar sind die Arbeiten an dem Altbau noch nicht ganz abgeschlossen, doch schon heute lässt sich sagen, dass die Erneuerung und Ergänzung der „Rostlaube“ rundum gelungen und eine gute Vorlage für die geplante Baulicher Erweiterung der F’U Berlin (siehe DAB 8/2005) ist.

 

Bei der Formgebung stand ein Gehirn Pate

Beim Reichstagsgebäude hatte sich Lord Norman Forster zunächst geweigert, dem raumgreifenden Bauwerk eine Kuppel aufzusetzen. Heute möchte auch er das von ihm geschaffene Sinnbild der „Berliner Republik“, die gläserne Kuppel über dem Plenarsaal des Deutschen Bundestages, wohl nicht mehr missen. Bei seinem zweiten Werk in der deutschen Hauptstadt kam er schließlich „aus freien Stücken“ auf die Baukörperform einer diesmal flach geneigten „Kuppel“, wobei er sich, bei einer geisteswissenschaftlichen Fakultät naheliegend, von einem Gehirn inspirieren ließ.
Die Form und auch der Standort der Bibliothek mussten sich Forster and Partners schrittweise erarbeiten. Statt auf dem Parkplatz des Hauptgebäudes der FU Berlin, wie noch beim 1997 siegreichen Wettbewerbsentwurf vorgesehen, fügten die Architekten den Neubau schließlich in die teppichartige Struktur der „Rostlaube“ ein. Um die äußere Erscheinung des 1967-73 nach Plänen von Candilis, Josic, Woods und Schiedhelm errichteten Gebäudes nicht zur beeinträchtigen und die Bibliothek trotz ihrer gewaltigen Ausdehnung (55×64 Meter) natürlich belüften zu können, überwölbten sie den fünfgeschossigen Neubau mit einer Doppelschaligen Hülle. Die am Scheitelpunkt gerad einmal 19 Meter hohe Außenhülle, die erst nach Betreten des runderneuerten Altbaus im ersten Hof sichtbar ist, wird von Stahlblechpaneelen und vergleichsweise wenigen Glasflächen geprägt.

 

Reminiszenz an die alte Fassade der „Rostlaube“

Bei aller formalen Eigenheit der Bibliothek, kann ihre Außenhülle als Reminiszenz an die alten Corten-Stahlfassade der „Rostlaube“ von Jean Prouvé gedeutet werden, die seit 1999 schrittweise durch eine neue Baubronze-Fassade im gleichen Corbusier’schen Modulor-Raster ersetzt wird. Die Innenhülle besteht aus einem silikonisierten, schallschluckenden Glasfasergewebe, durch dessen eingewebte Fenster ausreichend Tageslicht einfällt. Ein gelb gestrichenes Raumfachwerk hält die Hüllen in Form.
Der Innenraum ist überwältigend: Das beschwingte Spiel der von Geschoss zu Geschosss versetzen 650 Leseplätze an den Rändern der ansonsten nahezu ausschließlich der Aufbewahrung von rund 700 000 Büchern dienenden Ebenen, die zurückhaltende Farbgebung (Sichtbetondecken und –stützen sind grau, Einbaumöbel weiß und anthrazit) im Kontrast zu den farbigen Bucheinbänden und vor allem das mit Sonnenstand und Intensität variierende, diffus einfallende Tageslicht sorgen für abwechslungsreiche, aber nie dem Selbstzweck dienende Raumerlebnisse. Hier können die Studenten konzentriert in eine ganz eigene Welt eintauchen – aber das sind sie in Dahlem ja schließlich schon lange gewohnt.

 

Bauherr: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin
Nutzer: Frei Universität Berlin
Architekten: Forster and Partners, London
Projektteam: Norman Forster, David Nelson Stefan Rehling, Christian Hallmann, Ulrich Hamann, Ingo Pott
Tragwerksplaner: Pichler Ingenieure, Berlin
Fachplaner Haustechnik: Schmidt Reuter Partner, Köln; PIN planende Ingenieure GmbH, Berlin
Bauleitung: Büro Noack, Berlin; Kappes Scholtz, Berlin
Asbestentsorgung: Büro Peters, Berlin
Fassadenplanung: IFFT Karlotto Schott, Frankfurt/Main
Brandschutz: Hosser, Hass und Partner, Berlin
Kostenplaner: Höhler und Partner, Aachen
Akustikplanung: Büro Moll, Berlin
Bauphysik: Büro Langkau, Arnsberg
Wettbewerb. 1997
Baubeginn Asbestentsorgung, Fassadenerneuerung: 1999
Baubeginn Bibliothek: 2001
Fertigstellung Institute: 2007
Hauptnutzfläche Bibliothek: 6290m²
Leseplätze: 650 auf vier Ebenen
Kapazität: 700 00 Bücher
Kosten Bibliothek 18. Mio. Euro
Gesamtkosten: 52 Mio. Euro

Auszug aus dem Deutschen Architektenblatt 10/2005.

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